Gomukasana – das Kuhgesicht
(Autor: Fabian Scharsach)
Gomukh Asana – die sogenannte Kuhgesichtshaltung – ist eine der bekanntesten Sitzhaltungen im Hatha Yoga. Swami Swatmarama nennt sie in seiner „Hatha Pradipika“ als zweite seiner beschriebenen Asanas. Dass die Kuh in Indien als heiliges Tier verehrt wird, ist weithin bekannt. Die Wortwurzel „Go“ ist im Veda, der ältesten Quelle des Yoga, aber vor allem mit dem Licht des Bewusstseins assoziiert, was uns für unsere Betrachtung einen anderen Blick auf Gomukh Asana ermöglicht.
Vedische Symbolik
Sri Aurobindo hat die Kuh als das wichtigste aller vedischen Symbole bezeichnet. In seinem Verständnis repräsentiert die Kuh das Göttliche Bewusstsein. Immer wieder wird sie im Veda symbolisch für die Strahlen des Göttlichen Lichts verwendet und mit der „Morgenröte“, dem Erwachen des menschlichen Bewusstseins in Verbindung gebracht.
Das wichtigste aller vedischen Gleichnisse – jenes der „gestohlenen Kühe“ durch die „Panis“ (feindliche Mächte) – steht für die Blockade des spirituellen Fortschritts durch die dunklen Mächte. Die Rückgewinnung der Kühe durch die Angiras-Rishis und mit Hilfe der Gottheit „Indra“ symbolisiert das Erwachen des Menschen und den Sieg des Lichts (des Bewusstseins) über die Dunkelheit.
„Die Kühe repräsentieren das innere Licht, das in der Unwissenheit verborgen ist und durch spirituelles Streben wiedererlangt werden muss.“ (Sri Aurobindo „The Secret of the Veda“)
„Indra“ repräsentiert im Veda jene Gottheit, die „die Kühe befreit“, um sie „den Menschen zu geben“. Dabei wird der zentrale Vorgang des Yoga beschrieben: wie Indra (Symbol einer höchsten Bewusstseinsmacht, die in das menschliche Denken herabkommt) die höheren Potentiale des Geistes zur Entfaltung bringt, indem er bei der „Befreiung der Kühe“ (der Strahlen des höheren Lichts im menschlichen Bewusstseins) behilflich ist. Die Macht von Indra vertieft die Wahrnehmung und lässt das Denken des Menschen im Licht einer höheren Intuition aufgehen.
Die Symbolik von „Gomukha“
Bei meiner Online-Suche fiel mir eine Interpretation von Gomukh Asana auf, die mir in diesem Zusammenhang sinnvoller erscheint, als alle mir bisher bekannten Interpretationen:
„Das Wort Go ist eine Wortwurzel, die sich auf die Sinne (als Empfänger des Lichts) bezieht, da diese den bewussten Geist nähren, so wie Kuhmilch unseren Körper nährt. Mukha bedeutet Durchgang oder ein Aspekt von etwas. Kombiniert man diese beiden Wörter, bedeutet Gomukha die Kunst, mit den Sinnen als Zugang zu einem tieferen Aspekt (einer intuitiven Ebene) des Geistes zu arbeiten.“
Quelle: (https://herencyclopedia.wordpress.com/2016/05/07/deeper-meaning-of-gomukhasana-cow-face-pose/)
Ein Vertiefen der an materielle Oberflächen gebundenen geistigen Wahrnehmung steht auch bei Heinz Grill im Zentrum der Betrachtung von Gomukh Asana:
„Gomukh Asana ist eine Übung, die eine anspruchsvolle Wachheit im Bewusstsein mit größtmöglicher Entspannung vereint. Der Übende behält während der dynamischen und der ruhenden, statischen Phase die Aufmerksamkeit in der Zone der Stirn und achtet gleichzeitig auf die Entspannung in den Schultern, Nacken und Armen. Ein feiner Strom der Energie fließt für die Wahrnehmung des Bewusstseins entlang an der ungehindert aufgerichteten Wirbelsäule und mündet in das sechste Energiezentrum zwischen den Augenbrauen ein.“
Quelle: Heinz Grill, „Die Vergeistigung des Leibes“ (1995)
Wirkungen von Gomukh Asana
Körperliche Ebene
1. Dehnung und Kräftigung:
Gomukh Asana dehnt intensiv die Schultern, die Oberarme, die Hüften und die äußeren Oberschenkelmuskeln.
Die Haltung stärkt die Rückenmuskulatur und verbessert die Körperhaltung.
Durch die Dehnung der Hüftgelenke und die Aufrichtung des Rückens wird Flexibilität gefördert und Verspannungen in den Schultern und im unteren Rücken können gelöst werden.
2. Förderung der Gelenkgesundheit:
Die komplexe Positionierung der Arme und Beine mobilisiert die Schulter- und Hüftgelenke, was ihre Beweglichkeit erhöht.
Besonders für Menschen mit eingeschränkter Schulterbeweglichkeit oder Hüftsteifheit kann die Asana therapeutisch wirksam sein (hier kann zu Beginn ein Üben mit Hilfe eines Tuches oder Gurtes hilfreich sein)
Energetische Ebene
1. Harmonisierung der Nadis (Energiekanäle):
Durch die bewusste Dehnung und Kompression in der Haltung wird Prana (Lebensenergie) gleichmäßig im Körper verteilt.
Es wird angenommen, dass Gomukh Asana den Energiefluss durch Sushumna Nadi – den zentralen Energiekanal – erleichtert.
2. Balance zwischen Ida und Pingala:
Die Haltung hilft, die Energien von Ida (mondartig, beruhigend) und Pingala (sonnenartig, anregend) auszugleichen und damit eine Öffnung des geistigen Zentrums (Ajna Chakra) zu ermöglichen. .
Geistige Ebene
Stille und Öffnung des Geistes:
Gomukh Asana fördert eine ruhige und zentrierte Haltung. Gleichzeitig begünstigt sie eine Öffnung der höheren Wahrnehmung (in Ajna Chakra) und lässt einen Zustand von Stille und Weite im Geist entstehen.
Schritt-für-Schritt-Anleitung für Gomukh Asana
1. Ausgangsposition:
Setze dich in einen Vierfüßlerstand und lege die Beine übereinander (siehe Bild 1).
Überkreuze die Beine in dieser Position, so dass die beiden Knie auf der jeweils anderen Seite nebeneinander aufliegen
Lass dich aus dieser Position ganz langsam in eine aufrecht sitzende Haltung zurückgleiten
Die Beine sollten dabei wie das Gesicht einer Kuh wirken, mit den Knien als „Mund“ und den Füßen als „Ohren“.
2. Anordnung der Arme:
Hebe den rechten Arm nach oben, beuge ihn und führe die Hand zwischen die Schulterblätter.
Führe den linken Arm nach unten, beuge ihn hinter dem Rücken und greife die rechte Hand (oder benutze einen Gurt, falls die Hände sich nicht erreichen).
Achte darauf, die Wirbelsäule aufrecht zu halten und die Schultern zu entspannen.
3. Atem und Haltung:
Atme ruhig und gleichmäßig, während du in der Haltung verweilst.
Bleibe für 1-3 Minuten in der Position und wechsle dann die Seite.
Konzentriere dich auf den Zustand der Weite des Geistes oder auf das Zentrum der Stirn
Hinweise für die Praxis
1. Hilfsmittel nutzen:
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- Verwende ein Tuch oder einen Gurt, um die Hände hinter dem Rücken zu verbinden, wenn deine Beweglichkeit eingeschränkt ist.
- Setze dich auf eine gefaltete Decke, um die Wirbelsäule besser aufzurichten.
2. Achtsamkeit in der Haltung:
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- Halte die Wirbelsäule aufrecht und vermeide das Abkippen zur Seite.
- Achte darauf, dass die Schultern entspannt bleiben, um Verspannungen zu vermeiden.
3. Gegenanzeigen:
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- Vermeide die Haltung bei starken Hüft- oder Schulterproblemen. Auch bei Knieproblemen kann die Sitzhaltung überfordern.(hier kann eventuell mit einer erleichterten Sitzhaltung und dem Einsatz von Decken und Polstern Abhilfe geschaffen werden)