Inspiration

Agni – die Seelenflamme

Agni ist eine der ältesten und am höchsten verehrten Gottheiten der vedischen Kultur. Er ist das leuchtende Zentrum des Yoga…und auch einer der am häufigsten gebrauchten Begriffe, wenn es um die Übungen des Yoga und um die Heilkunst des Ayurveda geht: dort ist Agni in seiner Bedeutung als Verdauungsfeuer allgegenwärtig. So ist die eigentliche Bedeutung von Agni im Lauf der Zeit in den Hintergrund getreten, weshalb wir sie hier wieder ins Bewusstsein bringen wollen. Wenn der Rig Veda – die erste und heiligste Quelle aller Yogas – Agni seine erste Hymne widmet, verdeutlicht dies seine große Bedeutung für den Yoga.

Agni ist das Feuer des Seelischen Wissens und des Seelischen Willens in der Tiefe des menschlichen Herzens. Als universelles Feuer ist sein Einfluss nicht nur auf allen Ebenen unseres Wesens, sondern im ganzen Universum aktiv: als physischer Agni liegt seine Energie allen materiellen Formungs- und Umwandlungsprozessen zugrunde – in jedem Atom brütet das Licht und die Energie seiner schöpferischen Energie. Als vitaler Agni ist er die Quelle, die wachsende und umwandelnde Energie allen Lebens. Und auch im menschlichen Geist ist Agni aktiv: dort ist er der inspirierte Seher und Erleuchter der Gedankenwelt. Er ist das Aufleuchten im Inneren deines Geistes, wenn du ein „AHA“-Erlebnis hast. Er ist die umwandelnde Flamme deiner Erkenntnis – umwandelnd, weil der Einfluss von Agni eine fühlbare Macht in deinem Geist ist – eine Macht, die dich verändert, wie jede tiefe Einsicht dich verändert.

So ist Agni die Flamme der Transformation auf allen Ebenen unseres Menschseins: hinter jedem inspirierten Gedanken, jedem seelenvollen Gefühl, jeder tiefen Körpererfahrung wirkt sein umwandelnder Einfluss. Er ist der geheime Antrieb deiner inneren Entwicklung: er brennt hell, wenn du durch Krisen und intensive Lebenserfahrungen gehst. Denn er ist der verborgene Wille deiner Seele, der geheime Führer deiner Evolution, dessen umgestaltende Macht alle in dir verborgenen Potentiale zur Entfaltung bringt. So ist Agni das vielleicht wichtigste vedische Symbol für den Yoga, denn wenn Yoga „Einheit“ und „Verbindung“ mit dem Göttlichen bedeutet, findet der Yogi diese Verbindung in einer wachsenden Einheit mit der Göttlichen Flamme seiner Seele…

Hier einige der schönsten vedischen Hymnen an Agni:

(…in der Übersetzung von Nishtha)

„Oh, Agni! Du bist der Strahl der Wahrnehmung der Geschöpfe, höchst geliebt und glorreich, sitzend im Schoß. Erwache und etabliere für den, der dich durch das Wort bestätigt, eine weite Ausdehnung.“
Anmerkung: Mit „Schoß“ ist hier die innere Nähe gemeint. Das beständige „Gewahrsein“ der Seelenflamme ist für die Praxis des Yoga essentiell, weshalb die brennende Kerze oft als erstes Meditationsobjekt empfohlen wird. Wenn in diesem Vers eine „weite Ausdehnung“ besungen wird, ist damit der wachsende Einfluss der Seelenflamme gemeint, deren Licht immer weitere Bereiche der menschlichen Natur in Besitz nimmt und umwandelt.

„Wachse, oh Flamme, durch dieses Seelen-Wort, das wir entsprechend unserer Fähigkeit und unserem Wissen für dich geschaffen haben. Dann führe uns einem noch größeren Schatz entgegen. Vereinige uns mit dem beseelten rechten Denken, das die höchste Fülle besitzt.“
Anmerkung: Das „Seelenwort“ ist das Mantra, das die Seelenflamme wachsen lässt, das uns den „Schatz“ unserer Seele finden lässt – und aus ihr immer mehr unser Denken inspiriert.

„Du, weit sehender Agni, bringst den Menschen auf seinem verschlungenen Lebensweg voran in die Verbundenheit im Finden des Wissens…“
Anmerkung: Er ist die Innere Stimme, die den Menschen durch sein Leben navigiert – zunächst ohne dass wir uns dieser Gegenwart bewusst sind, bis das Wissen von Agni – das die Intuition unserer Seele ist – immer vollständiger zum Vorschein kommt.

„Als der Geliebte der Morgenröte leuchtet der Strahlende weit; möge er diesem Menschenwesen bewusst werden, vollständig erkannt in seiner Form.“
Anmerkung: Die Morgenröte symbolisiert das Erwachen des menschlichen Bewusstseins, die Herabkunft des höchsten Lichts in den Menschengeist. Agni, verhüllt von den Schleiern der Menschennatur ist die Innere Sonne, der „Geliebte“ des Herabkommenden Lichts, das sein eigener Ursprung ist.

„Ihn in sich selbst tragend, mögen alle weit die (inneren) Tore auftun und zur Schau der Sonnenwelt gelangen.“
Anmerkung: Wie die Sonne im Veda das Licht des Höchsten Bewusstseins repräsentiert, wird die „Schau der Sonnenwelt“ im Erwachen der Seele zum Gleichnis vedischer Offenbarung.

Aus Gesprächen mit Sri Aurobindo:

Frage: Ist Aspiration immer seelisch?
Antwort: Ja. Wahre Aspiration ist immer seelisch in ihrem Ursprung. Sie ist das Feuer, das von der Erde zu seinem eigenen Zuhause aufsteigt, wie der Veda sagt. Agni im Veda ist das Feuer der Aspiration. Es nimmt mentale und vitale Formen an, die unvollkommen sein mögen und deshalb mag auch die Aspiration unvollkommen sein. Doch auch hinter diesen unvollkommenen Formen ist etwas, das brennt. Hat man einmal dieses Feuer erweckt, ist es einem unmöglich, sich mit dem geöhnlichen Leben zufriedenzugeben.
Frage: Bedeutet das Feuer im Veda immer die seelische Aspiration?
Antwort: Ja. Doch gibt es verschiedene Formen und Mächte Agnis in uns und auch im Universum. Von diesem Agni im inneren Wesen sprachen sie wahrscheinlich als dem Garhapatya, dem zum „Hausherrn“ gehörenden Feuer.
Frage: Was ist gemeint, wenn gesagt wird, das seelische Wesen in einem Menschen ist in den Vordergrund gekommen oder ist stark geworden?
Antwort: Wenn wir sagen, das seelische Wesen ist an die Oberfläche gekommen, meinen wir, dass es begonnen hat, seinen Einfluss auf die anderen Teile der menschlichen Natur auszuüben. Es wird zuerst zu einem aktiven Einfluss, und zuletzt ist es DER Einfluss im Wesen. Und das Ergebnis dieses Einflusses ist, dass die gesamte Natur der Wahrheit zugewandt wird. In dem Maße, wie es seine Kontrolle und seinen Einfluss, seine Formationen und Persönlichkeiten im Menschen ausweitet, sagen wir, das seelische Wesen ist mehr entwickelt.

…Was du beschreibst, ist das seelischeFeuer, Agni Pavaka, das im tieferen Herzen brennt und von dort aus im Geist, dem Lebensenergiekörper und dem physischen Körper entzündet wird. Im Geist erschafft Agni ein Licht der intuitiven Wahrnehmung und Unterscheidungskraft, das sofort erkennt, was die wahre Vision oder Idee ist und die falsche Vision oder Idee, das wahre Gefühl und das falsche Gefühl, die wahre Bewegung und die falsche Bewegung. Im Lebensenergiekörper wird er als Feuer der rechten Emotionen und einer Art intuitiven Gefühls entfacht, einer Art Taktgefühl, das zum richtigen Impuls, der richtigen Handlung, dem richtigen Sinn für die Dinge und der richtigen Reaktion auf die Dinge führt. Im Körper initiiert er eine ähnliche, aber noch automatischer korrekte Reaktion auf die Dinge des physischen Lebens, der Empfindung und der körperlichen Erfahrung. Gewöhnlich ist es das seelische Licht im Geist, das als erstes der drei entzündet wird, aber nicht immer – denn manchmal nimmt die seelisch-vitale Flamme den Vorrang ein.

Und zuletzt noch einige Verse zu Agni… (aus Sri Aurobindos mantrischem Epos Sawitri)

Always we bear in us a magic key
Concealed in life’s hermetic envelope.
A burning Witness in the sanctuary
Regards through Time and the blind walls of Form;
A timeless light is in his hidden eyes;
He sees the secret things no word can speak
And knows the goal of the unconscious world
And the heart of the mystery of the journeying years.

Wir tragen stets einen zauberschlüssel in uns
In lebens hermetischer umhüllung versteckt.
Ein brennender Zeuge blickt im Heiligtum
Durch die blinden Wände der Form und durch die Zeit,
in seinen verborgenen augen zeitloses Licht;
er sieht die geheimen dinge, unsagbar dem wort,
und kennt das ziel der noch unbewussten welt
und das herz des mysteriums der reisenden jahr’.