Bhujangasana – die Kobra
(Autor: Fabian Scharsach)
Bhujangasana ist eine der klassischen rückwärtsbeugenden Übungen, die bereits in der „Hatha Pradipika“ sowie der „Gheranda Samhita“ (Quellschriften des Yoga) Erläuterung finden. In ihrem Namen vereint sie drei Elementen: „Bhu“ beschreibt die Erde, „ja“ die Qualität einer schnellen, leichtgliedrigen, vitalisierenden Energie, „anga“ das Glied.
Die Schlange ist im Verständnis mystischer Traditionen ein Sinnbild der Evolutionskraft. Die dreieinhalbmal aufwärts gewundene Kundalini (*die kosmische Energie als „Schlangenkraft“) repräsentiert die drei entfalteten Ebenen unserer Natur: Materie, Lebensenergien und Geist. Die halbe Windung deutet geöffnet in die Unendlichkeit und repräsentiert alle noch ungeoffenbarten Möglichkeiten unseres evolutionären Anstiegs.
Schon die Aussprache des Begriffs „Bhujanga“ kann dem Praktizierenden die Intuition einer starken, erdverbundenen und dennoch geschmeidigen, vitalisierenden Energie vermitteln. In ihrer vertiefenden Ausführung vermittelt Bhujangasana die Ausweitung unserer Gefühlswelt in einen weiten Raum schöpferischer Möglichkeiten. Der Geist ruht dabei in einem Zustand der Weite und Selbstvergessenheit.
„Die Kobra ist Vergleichbar mit einer Blüte der Selbstvergessenheit, die unaufdringlich erscheint, da sie sich aus den Schöpferkräften von freien Gedanken erbaut. Der Körper erhebt sich tatsächlich nicht zu einer mächtigen Geste des Aufgerichtetseins aus dem bloßen Willen, er rundet sich, wölbt und erbaut sich in anmutiger rückwärtsbeuge und ruht schließlich in stiller, kontrollierter Offenheit im sensiblen Raum. Die Hingabe und Selbstvergessenheit , die durch ein bewusstes, kontrolliertes und erschaffenes Gedankenleben entstehet, bezeichnet die Übung…“ (Heinz Grill, „Die Seelendimension des Yoga“)
Die Wirkungen von Bhujangasana
Körperliche Wirkungen
- Stärkung der Wirbelsäule: Bhujangasana kräftigt die Rückenmuskulatur, insbesondere im unteren und mittleren Bereich, und verbessert die Flexibilität der Wirbelsäule.
- Dehnung des Brustkorbs: Die Haltung öffnet den Brustkorb, dehnt die Brustmuskeln und verbessert die Atmung.
- Verbesserung der Haltung: Regelmäßige Praxis kann Fehlhaltungen korrigieren und Verspannungen im oberen Rücken lindern.
- Stimulation der Bauchorgane: Durch den Druck auf den Bauchbereich werden die Verdauungsorgane massiert, was die Verdauung anregen und entgiften kann.
- Linderung von Rückenschmerzen: Besonders bei Menschen mit sitzenden Tätigkeiten kann Bhujangasana Verspannungen im unteren Rücken lösen.
Energetische Wirkungen
- Aktivierung des Manipura-Chakras: Die Kompression des unteren Rückens und Bauchs stimuliert das Manipura-Chakra – das Zentrum der aufsteigenden Lebensenergien.
- Öffnung des Anahata-Chakras: Die Haltung fördert die Öffnung des Herzchakras, was unser Mitgefühl stärkt und unsere Empfindungsfähigkeit erhöht .
- Energiefluss in der Wirbelsäule: Als vertiefende Rückwärtsbeuge regt Bhujangasana die Nadis (Energiebahnen) an und verbessert den Prana-Fluss entlang der Wirbelsäule.
Geistige Wirkungen
- Förderung der Konzentration: Durch die bewusste Ausführung der Haltung wird der Geist zentriert und die Konzentration gesteigert.
- Stressabbau: Die Haltung beruhigt das Nervensystem und hilft, innere Anspannung zu lösen.
- Emotionale Balance: Die Öffnung des Herzbereichs fördert ein Gefühl von Leichtigkeit, Freude und Offenheit.
Zitate zu Bhujangasana
Klassische Quellschriften:
- Hatha Yoga Pradipika (1.26):
„Prishthana bhujangavad unnamanam bhujangasana mityahuh.“
Übersetzung: „Das Anheben des Oberkörpers wie eine Kobra wird als Bhujangasana bezeichnet.“- Quelle: Swami Muktibodhananda, Hatha Yoga Pradipika, Yoga Publications Trust, Munger, Bihar, India (2012)
- Gheranda Samhita (2.42):
„Bhujangam iva bhumau saṃsthāpayati vai bhujām | Evam āsanam etad vai bhujangāsanam ucyate.“
Übersetzung: „In dieser Haltung bleibt der Körper wie eine Kobra gestreckt, wobei die Arme die Position unterstützen.“- Quelle: Gheranda Samhita, Swami Niranjanananda Saraswati, Yoga Publications Trust
Moderne Quellen:
- B.K.S. Iyengar (Light on Yoga):
„Bhujangasana ist eine Haltung, die die Wirbelsäule stärkt und Flexibilität fördert. Sie weckt die Energie in der Wirbelsäule und ist eine ausgezeichnete Übung, um Rückenschmerzen zu lindern.“
- Quelle: B.K.S. Iyengar, Light on Yoga, HarperCollins (1979)
- Swami Satyananda Saraswati (Asana, Pranayama, Mudra, Bandha):
„Bhujangasana dehnt den Rücken und stimuliert das zentrale Nervensystem. Sie öffnet das Herzchakra und verbessert die Durchblutung.“
- Quelle: Swami Satyananda Saraswati, Bihar School of Yoga, Yoga Publications Trust (2008)
- André Van Lysebeth (Yoga Self-Taught):
„Die Kobrahaltung ist eine der besten Übungen, um den unteren Rücken zu stärken und die Bauchorgane zu massieren.“
- Quelle: André Van Lysebeth, Yoga Self-Taught, Harper & Row (1974)
Schritt-für-Schritt-Anleitung für Bhujangasana
Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Durchführung
Vorbereitung
- Lege dich flach auf den Bauch. Die Beine sind ausgestreckt, die Füße liegen flach auf dem Boden, und die großen Zehen berühren sich.
- Platziere die Handflächen neben der Brust, die Finger zeigen nach vorne, und die Ellbogen sind nah am Körper.
Ausführung
- Atmung vorbereiten:
- Atme tief ein, während du dich innerlich auf die Haltung vorbereitest.
- Anheben des Oberkörpers:
- Drücke die Handflächen sanft in den Boden und beginne, den Oberkörper langsam anzuheben.
- Lasse den Kopf und die Brust folgen, während der untere Bauchbereich auf dem Boden bleibt.
- Haltung stabilisieren:
- Strecke die Arme so weit, wie es angenehm ist, ohne die Schultern nach oben zu ziehen. Die Ellbogen können leicht gebeugt bleiben, um den unteren Rücken zu entlasten.
- Ziehe die Schulterblätter nach hinten und unten, um den Brustkorb zu öffnen.
- Ausrichtung kontrollieren:
- Achte darauf, dass der Nacken in Verlängerung der Wirbelsäule bleibt. Der Blick kann nach vorne oder leicht nach oben gerichtet sein.
- Halte Beine und Becken in sanftem Muskeltonus.
- Haltedauer:
- Halte die Position zu Beginn einige Atemzüge, um den Körper daran zu gewöhnen. Mit der Zeit kannst du solange halten, wie Freude und Leichtigkeit in der Position fühlbar bleiben.
- Atme ruhig und gleichmäßig durch die Nase.
- Auflösen der Haltung:
- Senke beim Ausatmen den Oberkörper langsam und kontrolliert ab.
- Bringe die Hände unter die Stirn und entspanne den Körper vollständig.