Yoga Psychologie

Die Meisterung der Begehrensnatur

(aus den Gesprächen der Mutter)

Man muss Vergnügungen zurückweisen, wenn man sich für die Erfahrung der Freude des gesamten Daseins in seiner völligen Schönheit und Harmonie öffnen will. Das führt uns ganz natürlich zum Thema der vitalen Enthaltsamkeit sinnlicher Vergnügungen, der Tapasya, der Disziplin der Entsagung, die einem Kontrolle und Macht über seine Sinne verleiht.

Denn das vitale Gefühl ist der Sitz von Macht, von effektivem Enthusiasmus. Durch das vitale Gefühl wird ein Gedanke in Willen verwandelt und wird dadurch zu der dynamischen Kraft, die sich ins Handeln umsetzt. Es stimmt auch, das das vitale Gefühl der Sitz von Wünschen und Leidenschaften ist, von heftigen Impulsen und gleichermaßen heftigen Reaktionen, von Aufruhr und Depressionen. Die übliche Art der Ausübung von Disziplin, um mit der vitalen Natur umzugehen, ist, sie abzuwürgen und auszuhungern, indem ihr alle sinnlichen Empfindungen entzogen werden; die sinnlichen Empfindungen sind wirklich ihre hauptsächliche Nahrung und ohne sie schläft das Vitale ein, es wird träge und verhungert.

Tatsächlich hat das Vitale drei Quellen der Versorgung. Die, welche für die vitale Natur am leichtesten zugänglich ist, kommt von unten, von den physischen Energien, die durch die sinnlichen Gefühle übermittelt werden. Die zweite Quelle befindet sich auf der eigenen Ebene des vitalen Gefühls, wenn es genügend weit und empfänglich ist, kann es Kontakt zu den universalen vitalen Kräften aufnehmen. Die dritte Quelle, der sich das Vitale gewöhnlich nur öffnet, wenn es eine große Sehnsucht nach innerem Fortschritt fühlt, kommt von oben, durch den Einfluss und die Aufnahme von spirituellen Kräften und Intuition in das Gefühl. Diesen Quellen der Energie versuchen die Menschen oft noch eine weitere hinzuzufügen, die gleichzeitig für sie der Ursprung der meisten ihrer Qualen und ihres Unglücks ist. Es ist der Austausch von vitalen Kräften mit ihresgleichen, normalerweise in Zweierbeziehungen, den sie sehr oft mit Liebe verwechseln, der aber nur die Anziehung zwischen zwei Kräften ist, die am gegenseitigen Austausch Gefallen finden.

Wenn wir unser vitales Gefühl also nicht aushungern möchten, dürfen die sinnlichen Empfindungen nicht in ihrer Intensität und Anzahl zurückgewiesen oder vermindert werden. Wir sollten sie auch nicht vermeiden, sondern eher mit Weisheit und Unterscheidungsvermögen gebrauchen. Empfindungen sind ein ausgezeichnetes Instrument für Wissen und Bildung, aber damit sie diesem Zweck dienen können, darf man sie nicht egoistisch um des Vergnügens willen gebrauchen, in einer blinden und ignoranten Suche nach Genuss und Selbstbefriedigung.

Die Gefühle sollten fähig sein, alles ohne Abscheu oder Unmut zu ertragen, aber gleichzeitig müssen sie immer mehr die Fähigkeit erwerben und entwickeln, den Ursprung, die Qualität und die Wirkung von verschiedenen vitalen Schwingungen zu unterscheiden, um zu erkennen, ob diese der Harmonie, der Schönheit und guter Gesundheit dienen oder ob sie für die Ausgeglichenheit und den Fortschritt des physischen und vitalen Teils unseres Wesens schädlich sind. Darüber hinaus sollten die Empfindungen als Mittel eingesetzt werden, sich den materiellen und vitalen Welten zu nähern und diese in ihrer ganzen Komplexität zu studieren. Auf diese Weise nehmen sie ihren wahren Platz in der großen Aufgabe der Transformation ein.

Indem man seine vitale Natur erleuchtet, stärkt und reinigt, kann man zum Fortschritt seines Wesens beitragen, nicht, indem man sie schwächt. Sich selbst seiner Gefühle zu berauben ist deshalb genauso schädlich, wie sich selbst die Nahrung vorzuenthalten. Aber ebenso wie die Auswahl der Nahrung weise getroffen werden muss, nur für das Wachstum und gute Funktionieren des Körpers, so sollte auch die Wahl der Gefühle und die Kontrolle darüber mit einer sehr wissenschaftlichen Nüchternheit getroffen werden, ausschließlich für die Entwicklung und die Vervollkommnung seiner vitalen Natur, dieses höchst dynamischen Instruments, das ebenso notwendig für den inneren Fortschritt ist, wie alle anderen Teile unseres Wesens. Indem man den vitalen Teil seiner Natur erzieht, ihn verfeinert, ihn empfindsamer und feinfühliger und man könnte fast sagen, eleganter im besten Sinne des Wortes macht, kann man seine Brutalität und seine Gewaltsamkeit überwinden, die tatsächlich eine Form von Grobheit und Ignoranz und mangelndem Geschmack darstellt.

In Wahrheit kann ein kultivierter und erleuchteter vitaler Teil der Natur ebenso nobel und heldenhaft und uneigennützig sein, wie er momentan von sich aus vulgär, egoistisch und pervertiert ist, wenn er sich selbst überlassen bleibt, ohne erzieherischen Einfluss. Es genügt für jeden einzelnen von uns zu wissen, wie er in sich selbst die Suche nach Vergnügen in ein Bestreben nach der Erfahrung der übergeistigen Fülle umwandeln kann. Wenn die Bildung des vitalen Gefühls mit Ausdauer und Aufrichtigkeit lange genug durchgeführt wird, kommt eine Zeit, wenn das Vitale von der Größe und Schönheit des Ziels überzeugt ist und seine kleinlichen und illusorischen sinnlichen Befriedigungen aufgibt, um die höchste Göttliche Freude zu gewinnen.

(Aus den Gesprächen der Mutter)