Yoga Psychologie
Die Vision der Unsterblichkeit
Sri Aurobindo und die Zukunft der menschlichen Evolution
Unsterblichkeit – Göttliches Geburtsrecht oder menschlicher Traum?
Ist die Unsterblichkeit unser göttliches Geburtsrecht – oder nur der wirklichkeitsferne Traum einer phantasiebegabten Spezies? Und ist diese Unsterblichkeit etwas, das nur innerlich verwirklicht werden kann – jenseits unserer körperlichen Existenz?
Die Sicht der traditionellen Yogas
Die alten Yogas sahen den menschlichen Körper nicht als grundsätzlich wandelbar. Die Lösung des Problems unseres materiellen, vom Tod begrenzten Lebens erblickten sie in der Überwindung des gewöhnlichen Bewusstseins. Wer sich nicht mehr mit seinen sterblichen Hüllen – mit Körper, Lebenskraft und denkendem Geist – identifizierte, sondern das ewige Selbst verwirklicht hatte, galt als frei (Moksha): unsterblich nicht im Körper, aber ohne Bindung an Körper und Natur.
Sri Aurobindos Perspektive der menschlichen Evolution
Sri Aurobindo erkannte in dieser Befreiung zwar eine hohe, erhabene Freiheit, sah darin jedoch keine endgültige Lösung des menschlichen Daseins. Für ihn lag das höhere Ziel der Evolution in einer umfassenden Transformation aller Ebenen der menschlichen Natur. Er wies darauf hin, dass im unaufhörlichen Fortschrittsdrang der Menschheit ein tiefer innerer Wunsch nach Unsterblichkeit wirkt. Es ist der Drang, jede Begrenzung zu überwinden und das Göttliche im Materiellen zu verwirklichen.
Innere Unsterblichkeit als Voraussetzung äußerer Transformation
Zur Frage der menschlichen Unsterblichkeit betonte Sri Aurobindo, dass die Menschheit erst dann bereit dafür sei, wenn sie auch innerlich unsterblich geworden ist – durch die Evolution ihres begrenzten in ein unendliches Bewusstsein. Nur unter dieser Voraussetzung könne eine wirkliche Verlängerung des körperlichen Lebens und die Überwindung des Todes möglich werden: wenn der Körper zu einem vollkommenen Ausdruck eines unendlichen Bewusstseins heranreift. Dann wäre das Leben kein mechanischer Prozess der Natur mehr. Es wäre der bewusste Willensakt einer ewig sich selbst erschaffenden Seele, die die Begrenzungen der Natur nicht nur im Geist, sondern auf allen Ebenen ihrer irdischen Manifestation überwunden hat.
Die Transformation des Körpers und die Evolution einer neuen Spezies
Die Entstehung einer solchen Möglichkeit setzt eine Umwandlung des materiellen Körpers voraus – insbesondere eine Transformation des Zellbewusstseins. Diese würde, so Sri Aurobindo, in einer weiteren Evolution zu einer immer tieferen Wandlung des Körpers führen. Das Ergebnis wäre die Geburt einer neuen, höheren Spezies – einer,
„die sich vom Menschen auf radikalere Weise unterscheiden wird, als sich der Mensch vom Tier unterscheidet.“
(Sri Aurobindo, „The Life Divine“)
Zitate von Sri Aurobindo und der Mutter über Unsterblichkeit
„Wir wollen eine ganzheitliche Umwandlung, die Umwandlung des Körpers und all seiner Aktivitäten. Früher (in den traditionellen Yogas, Anm.), wenn man von Umwandlung sprach, war allein die Transformation des inneren Bewusstseins gemeint (…) Sri Aurobindo erklärte, dass dies nicht ausreiche; die Wahrheit verlangte, dass auch die materielle Welt an dieser Transformation teilnehme und Ausdruck der tieferen Wahrheit werde.“
(Die Mutter, Vol. 4)
„Was die Unsterblichkeit betrifft, so kann sie nicht eintreten, wenn Anhaftung an den Körper besteht; denn nur indem man im unsterblichen Teil seines Selbst lebt — der nicht mit dem Körper identisch ist — und dessen Bewusstsein und Kraft in die Zellen hinabbringt, kann sie verwirklicht werden.“
(Sri Aurobindo, „Letters on Yoga“)
„Der Körper kann nur dann unbegrenzt fortbestehen, wenn er zunächst voll bewusst dieses unsterbliche Selbst erkennt und sich mit ihm vereinigt (…) der Körper selbst muss im Licht des Höchsten Bewusstseins verankert sein, er muss einige der Eigenschaften des übergeistigen Wesens besitzen, nämlich Plastizität und ständige Transformation.“
(The Mother, On Thoughts and Aphorisms)
„Die Vollkommenheit des Körpers muss das letzte Ziel jeder körperlichen Entwicklung sein. Denn Vollkommenheit ist das eigentliche Ziel aller menschlichen Bemühung – geistig, seelisch, mental und vital – und darf deshalb auch im Physischen nicht fehlen. Wenn wir nach einer umfassenden Vollkommenheit des Wesens streben, kann der Körper nicht beiseite gelassen werden; er ist die materielle Grundlage und das Werkzeug, durch das sich das Göttliche auf Erden ausdrücken will. Wie das alte Sanskritwort sagt: Śarīraṃ khalu dharmasādhanam – der Körper ist das Mittel, um den inneren Sinn, das Dharma, zu erfüllen.
Unser Ziel ist das göttliche Leben hier auf Erden – das Leben des Geistes, verwirklicht in der Materie. Das aber ist nur möglich, wenn auch der Körper selbst eine Wandlung erfährt, wenn seine Funktionen und Kräfte eine höhere Fähigkeit und eine Form von Vollkommenheit erreichen, die ihm möglich ist oder möglich gemacht werden kann.
[…] In dem Maß, wie seine Begrenzungen schwinden, wird der Körper plastischer, empfänglicher, ein immer besseres Instrument des Seelischen. Er muss zu einem bewussten Werkzeug werden – ein lebendiges Zeichen und Siegel des göttlichen Wirkens.
[…] Eine wirkliche Transformation ist darum notwendig: eine Wandlung von Geist, Leben und Körper zugleich. Auf diese Wandlung zielt die Evolution selbst, und ohne sie kann die volle Wirklichkeit eines göttlichen Lebens auf Erden nicht offenbar werden.“(Sri Aurobindo, „The Supramental Manifestation on Earth“)
„Der Mensch ist ein Übergangswesen; er ist nicht das endgültige Ziel. Denn im Menschen und weit über ihn hinaus steigen leuchtende Stufen (des Bewusstseins) empor, die zu einer göttlichen Spezies jenseits des Menschen führen. Der Schritt vom Menschen zu einer höheren Spezies ist der nächste nahende Erfolg in der Evolution der Erde. Er ist unvermeidlich, weil er zugleich der Absicht des inneren Geistes und der Logik des natürlichen Prozesses entspricht.“
(Sri Aurobindo, „The Hour of God“)


