Yoga Psychologie: Wiedergeburt
Wiedergeburt: Erinnerung an frühere Leben
(Autor: Fabian Scharsach)
Das Wissen um die Seele und ihre Evolution – ihr Wachstums durch die Zyklen ihrer verschiedenen Leben ist ein wichtiger Aspekt yogischer Erfahrung. Das folgende Gespräch mit der Mutter (Mirra Alfassa) gibt bedeutende Einblicke in die Tiefen dieser Erfahrung. Der Text beleuchtet die wahre Natur der Wiedergeburt und zeigt, was echte Erinnerung an vergangene Leben bedeutet…
Erinnerung entsteht durch seelische Bewusstheit
„Allein, wenn man mit seinem göttlichen Ursprung bewusst identifiziert ist, kann man wahrheitsgemäß von einer Erinnerung an vergangene Leben sprechen. Sri Aurobindo spricht von einer progressiven Manifestation des Spirits in den Formen, in denen er wohnt. Wenn man den Gipfel dieser Manifestation erreicht, hat man eine Vision, die hinabtaucht, entlang des zurückgelegten Weges, und man erinnert.
Doch ist dieses Erinnern keine mentale Sache. Jene, die behaupten, ein gewisser Baron des Mittelalters gewesen zu sein, oder eine bestimmte Person, die an diesem oder jenem Ort zu dieser oder jener Zeit lebte, sind phantasiereiche Menschen, einfach Opfer ihrer eigenen mentalen Vorstellungswelt. Was tatsächlich von vergangenen Leben bleibt, sind nicht schöne Bilder, in denen du als mächtiger Herr in einem Schloss oder als siegreicher General an der Spitze einer Armee erscheinst – das sind romantische Vorstellungen…“
Was wirklich bleibt: Augenblicke seelischer Offenbarung
„…Was bleibt, ist die Erinnerung jener Augenblicke, in denen das seelische Wesen aus den Tiefen deines Seins auftaucht und sich dir enthüllt – das heißt die Erinnerung jener Augenblicke, in denen du voll bewusst warst. Dieses Wachsen des Bewusstseins findet fortschreitend im Laufe der Evolution statt, und die Erinnerung an vergangene Leben ist im allgemeinen auf die kritischen Augenblicke der Evolution beschränkt, auf die entscheidenden Wendungen, die den Fortschritt deines Bewusstseins bezeichneten.
Zu dem Zeitpunkt, an dem du solche Augenblicke deines Lebens erlebst, ist es dir gleichgültig zu erinnern, dass du Mr. X. warst, eine bestimmte Person, die an einem bestimmten Orte und in einer bestimmten Epoche lebte; es ist nicht die Erinnerung an deinen Status, die erhalten bleibt. Im Gegenteil, du verlierst alles Bewusstsein dieser kleinen äußeren Dinge, der Begleiterscheinungen und Vergänglichkeiten, damit du voll im Lodern der Enthüllung deiner Seele oder der göttlichen Fühlungnahme aufgehen kannst…“
Seelische Intensität und die Rolle von Krisenmomenten
„…Wenn du solche Augenblicke deiner vergangenen Leben zurückrufst, ist die Erinnerung so intensiv, dass sie noch sehr nah zu sein scheint, noch lebendig und viel lebendiger als die meisten gewöhnlichen Erinnerungen unseres gegenwärtigen Lebens. Manchmal, in Träumen, wenn du in Kontakt mit gewissen Ebenen des Bewusstseins kommst, kannst du Erinnerungen von solcher Intensität haben, solch pulsierender Färbung, gleichsam intensiver als die Farben und Dinge der physischen Welt. Denn dies sind Augenblicke des wahren Bewusstseins, und alles erscheint in außergewöhnlicher Brillanz, alles vibriert, alles ist durchtränkt von einer Beschaffenheit, die dem gewöhnlichen Auge entgeht.
Diese Minuten des Kontaktes mit der Seele sind oft jene, die eine entscheidende Wende unseres Lebens bezeichnen, einen Schritt nach vorn, einen Fortschritt im Bewusstsein, und sie gehen oft mit einer Krise einher, einer äußeren intensiven Situation, wenn ein Ruf an das ganze Wesen ergeht, ein Ruf, so stark, dass das innere Bewusstsein die es überlagernden Schichten des Unbewussten durchdringt und voll leuchtend an der Oberfläche enthüllt wird…“
Göttliche Emanationen und lebendige Erinnerungsbilder
„…Dieser Ruf des Wesens, wenn er sehr stark ist, kann auch die Herabkunft einer göttlichen Emanation bringen, einer individuellen Existenz, eines göttlichen Aspektes, der sich mit deiner Individualität in einem bestimmten Augenblick verbindet mit dem Zweck, eine aufgetragene Arbeit zu verrichten, einen Kampf zu gewinnen, oder die eine oder andere Sache auszudrücken. Wenn die Arbeit getan ist, zieht sich die Emanation oft zurück. Dann kann es sein, dass man die Erinnerung der Umstände bewahrt, die jene Minuten der Enthüllung oder Inspiration begleiteten: man sieht wiederum die Landschaft, die Farbe des Kleides, das man trug, die Farbe der eigenen Haut, die Dinge, die einem zu jenem Zeitpunkt umgaben – all das ist unauslöschlich und mit ungewöhnlicher Intensität fixiert; denn die Dinge des gewöhnlichen Lebens enthüllen sich dann in ihrer wahren Eindringlichkeit und Farbe. Das Bewusstsein, das sich in dir offenbart, offenbart gleichzeitig das Bewusstsein in den Dingen. Manchmal vermagst du mit Hilfe dieser Einzelheiten das Zeitalter, in dem du lebtest, zu identifizieren, oder deine Tätigkeit oder das Land, in dem du wohntest; es ist aber auch sehr leicht, sich etwas einzubilden und die Einbildung für Wirklichkeit zu halten…“
Momente seelischer Harmonie
„…Dennoch darfst du nicht glauben, dass alle Erinnerungen an vergangene Leben Augenblicke einer großen Krise sind, einer wichtigen Mission oder einer Enthüllung. Manchmal sind es Augenblicke von sehr einfacher Art, transparent, die eine umfassende, eine vollendete Harmonie des Wesens ausdrücken. Und dies mag mit insgesamt unbedeutenden, äußeren Situationen einhergehen.
Abgesehen von den Dingen, die in jenem Augenblick in deiner unmittelbaren Nähe waren, abgesehen von dem Augenblick des Kontaktes mit deinem seelischen Wesen, bleibt nichts erhalten. Wenn einmal der besondere Augenblick vorüber ist, stürzt sich das seelische Wesen in einen inneren Schlaf, und das ganze äußere Leben verschmilzt mit einer grauen Monotonie, die keine Spuren hinterlässt…“
Nur wenige Momente bleiben im Seelischen erhalten…
„…Es ist übrigens beinahe die gleiche Erscheinung, wie die, die sich im Laufe deines gegenwärtigen Lebens ereignet: abgesehen von jenen außergewöhnlichen Augenblicken, wenn du auf der Höhe deines Wesens bist, mental oder vital oder sogar physisch, scheint dein übriges Leben mit einer Art neutralen Farbe zu verschmelzen, nicht weiter interessant, wo es wenig ausmacht, ob du an diesem Ort oder einem anderen warst, ob du diese Sache tatest oder jene. Wenn du versuchst, dein Leben als Ganzes zu betrachten, um gleichsam seine Essenz zu gewinnen, werden die zwanzig oder dreißig oder vierzig Jahre, die hinter dir liegen – wie du sehen wirst – spontan zwei oder drei Bilder erstehen lassen, welche die wahren Augenblicke deines Lebens waren; das übrige ist ausgelöscht. Eine Art spontane Wahl wirkt in deinem Bewusstsein und eine riesige Eliminierung findet statt.
Dies gibt dir einen kleinen Begriff von dem, was sich hinsichtlich der vergangenen Leben ereignet: die Wahl einiger weniger, auserlesener Augenblicke und eine ungeheure Eliminierung…“
Wachsendes Bewusstsein und die zunehmende Klarheit früherer Inkarnationen
„…Es ist durchaus richtig, dass die frühesten Leben sehr rudimentär sind; ganz wenig ist davon erhalten, verstreute Erinnerungen, wenig und in großen Abständen. Doch je mehr man im Bewusstsein voranschreitet, desto mehr wird das seelische Wesen mit den äußeren Tätigkeiten bewusst verknüpft; die Erinnerungen wachsen an Zahl und werden zusammenhängend und genau. Und dennoch, auch hier ist die bleibende Erinnerung jene des Kontaktes mit der Seele, und manchmal das, was mit der seelischen Offenbarung assoziiert war – nicht der Status oder die wechselnde Umgebung. Und das erklärt auch, warum die sogenannten Erinnerungen an vergangene Tierleben der Phantasie entspringen: der göttliche Funke in ihnen ist viel zu tief begraben, um bewusst an die Oberfläche zu gelangen, und mit dem äußeren Leben assoziiert zu werden. Man muss ein voll bewusstes Wesen werden, bewusst in all seinen Teilen, gänzlich geeint mit dem göttlichen Ursprung, bevor man wahrhaft sagen kann, dass man seine vergangenen Leben erinnert…“










