Mayurasana – der Pfau
(Autor: Fabian Scharsach)
Sinnbild und Psychologie der Übung
Mayurasana ist Ausdruck einer konzentrierten Lebenskraft. Wie keine zweite Asana aktiviert Mayurasana das Feuer des dritten Zentrums, das nicht nur für die Verwertung unserer materiellen Nahrung zuständig ist, sondern auch für unsere Fähigkeit, die subtilen Einflüsse zu assimilieren, die wir in jedem Moment aus der uns umgebenden Atmosphäre aufnehmen.
Wegen seiner aktivierenden Wirkung auf unser Verdauungsfeuer dient der Pfau im Hatha Yoga als Entgiftungsübung. Mit den „Giften“, auf die sich tantrische Quellen bei der Beschreibung von Mayurasana beziehen, sind aber nicht nur die schädlichen Rückstände unserer stofflichen Nahrung gemeint, die durch ein zu schwaches Verdauungsfeuer entstehen. Tantrische Quellen vermitteln ein weiteres Verständnis von „Entgiftung“, denn sie beziehen sich dabei auch auf unsichtbare Gifte: auf die geistigen und emotionalen Einflüsse unserer Egonatur, die uns die höheren Möglichkeiten unseres Menschseins verstellen.
Das Lebensfeuer dient im Yoga nicht nur den Zwecken unserer vitalen Natur. Wie sich der Mensch seiner Seele – und damit seiner inneren Lebensziele – bewusst wird, beginnt sich die Qualität des Lebensfeuers zu verändern. Mit der inneren Entwicklung im Yoga beginnt sich dieses Feuer zu einer seelischen Antriebskraft zu wandeln, die „Tapas“ genannt wird.
Tapas ist das Feuer einer spiritualisierten Lebenskraft, die den Menschen von den Bindungen an seine Begehrensnatur befreit. Dieses Feuer nährt sich nicht durch sinnliche Befriedigung, sondern durch Aspiration und Hingabe zum Göttlichen. Tapas lässt innere Reinheit entstehen – und mit ihr den Glanz einer sublimen Schönheit; einer spirituellen Schönheit, die sich auch in der äußerlichen Erscheinung des Praktizierenden zum Ausdruck bringt – und die der Pfau wesenhaft verkörpert.
Zitate zu Mayurasana
1.Haṭha Yoga Pradīpikā (Vers 1.31)
„Mayurasana ist bekannt dafür, dem Übenden zu ermöglichen, unverdaute Nahrung zu verdauen, die Winde (vāta) zu regulieren und den Körper zu reinigen. Es kann sogar tödliche Gifte (wie Kāla-kūṭa) neutralisieren.“ (in der Übersetzung vonSwami Muktibodhananda)
DieKāla-kūṭasind metaphorisch wie auch wörtlich gemeint – als mythologisches, kosmisches Gift sowie als Symbol für schwere karmische oder psychische Belastungen.
2.Gheraṇḍa Saṁhitā (Vers: 30–32)
„Mayurasana besteht darin, beide Handflächen auf den Boden zu legen, den Körper gleichmäßig zu stützen und die Ellbogen an den Nabel zu legen. Diese Haltung fördert die Verdauung, gleicht die Körpersäfte aus und beseitigt alle Störungen.“
3.Śiva Saṁhitā (3, Verse 84–85)
- Kontext: In dieser tantrischen Quellschrift wird Mayūrāsana als eine kraftvolle Haltung genannt, die das „Feuer“ stärkt und zur Reinigung des Körpers beiträgt. Sie fördert sowohl diephysischen als auch subtilen Energien.
„Diese Haltung beseitigt alle Krankheiten des Magens und steigert das Verdauungsfeuer; sie reinigt die Nadis (Energiekanäle) und bringt Kraft.“
4.Tantrische Symbolik des Pfaus (Mayūra)
Im Tantrismus – besonders in denNātha-Traditionen– symbolisiert der Pfau das Bewusstsein, das durch innere Stärke Gift transformieren kann. Das Tier wird mitKārtikeya / Skanda, dem Kriegsgott auf dem Pfau, assoziiert – einem Emanat des höchsten Bewusstseins, das Ignoranz (Asuras) besiegt.
Die Wirkungen der Übung
Mayurasana: Körperliche Wirkungen
Mayūrāsana gilt als eine der effektivsten Übungen zur Stärkung des Verdauungssystems. Durch den Druck der Ellenbogen auf den Bauch werden Leber, Bauchspeicheldrüse und Magen stimuliert, was die Verdauung fördert und die Entgiftung unterstützt.
Mayurasana: Energetische Wirkungen
1. Anregung des Manipura Chakras (Solarplexus-Chakra): Dieses Energiezentrum steht für Willenskraft, Selbstvertrauen, Durchsetzungsvermögen und das „Verdauungsfeuer“ auf energetischer Ebene.
2. Harmonisierung der Vayus (Winde/Energieflüsse): Die Haṭha Yoga Pradīpikā erwähnt die Regulation der „Winde“ (Vata). Im yogischen Verständnis bezieht sich dies auf die fünf Energieflüsse im Körper (Prana Vayus)). Die Harmonie dieser Pranas bildet im Verständnis des Hatha Yoga die Grundlage für die Gesundheit des Körpers.
Mayurasana: Geistige Wirkungen
1. Entwicklung von Konzentration: Das Halten der Balance erfordert einen hohen Grad an Konzentration und innerer Ausrichtung. Regelmäßiges Üben kann die Fähigkeit, den Geist zu fokussieren, verbessern.
2. Steigerung der Willenskraft und Ausdauer: Mayurasana ist keine Haltung, die man leicht erlernt. Sie erfordert Übung, Geduld und Willenskraft. Der Prozess des Erlernens und Meisterns der Haltung kann die innere Stärke und Ausdauer fördern, die sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen können.
Schritt-für-Schritt-Anleitung für Mayurasana
Einnehmen von Mayurasana
- Ausgangsposition:
- Knie dich auf den Boden – mit beiden Knien weit auseinander.
- Setze die Hände vor sich auf den Boden, mit den Fingernnach hintenin Richtung Füße.
- Die Handflächen sollten fest auf dem Boden liegen, die Ellbogen sind gebeugt.
- Ellbogen zum Bauch bringen:
- Beuge die Arme und drück die Ellbogen eng gegen den unteren Bauch (unterhalb des Nabels).
- Je mehr Druck auf den Bauch kommt, desto stabiler wird die Haltung.
- Beine strecken und Gewicht verlagern:
- Strecke die Beine nach hinten aus, sodass nur noch Zehen und Hände den Boden berühren.
- Solltest dir die vollständig ausgeführte Haltung nict möglich sein, kannst du in dieser Position bleiben. Sie wird „Hamsasana“ (Der Schwan) genannt und hat ähnliche Wirkungen wie Mayurasana.
- Verlagere dein Körpergewicht langsam nach vorne.
- Abheben:
- Spanne dabei die Bauch- und Rückenmuskulatur an.
- Hebe die Füße vom Boden, indem du das Gewicht vollständig auf die Hände verlagerst.
- Halte den Körperparallel zum Boden, die Beine bleiben dabei gestreckt.
Halten von Mayurasana
- Halte das Gleichgewicht durch Anspannung des ganzen Körpers.
- Die Schulterblätter ziehen zusammen, der Blick ist leicht nach vorne gerichtet.
- Atme ruhig und kontrolliert weiter.
- Anfänger halten die Position nur für wenige Sekunden, fortgeschritten Praktizierende können sie länger halten.
Verlassen von Mayurasana
- Langsames Absenken:
- Senke die Füße sanft zurück auf den Boden.
- Verlagere dein Gewicht wieder nach hinten.
- Entspannung:
- Entspanne in Balasana (Stellung des Kindes)
Variation: Padma Mayurasana – der Pfau im Lotus
- Einnehmen und Halten der Position wie bei Mayurasana.
- Ausgangsposition ist der Kniestand im Lotos (mit den Händen vor dir aufgestützt am Boden)
- Hinweis: wenn du die Lotus-Position mühelos einnehmen kannst, wird dir der Pfau im Lotus leichter fallen, weil er aufgrund des verkürzten Hebels (weniger Körperlänge) mit weniger Kraftaufwand – und daher länger gehalten werden kann.
Wichtiger Hinweis:
Nach der Durchführung von Mayurasana oder Padma Mayurasana keine Umkehrhaltungen praktizieren. Der Grund dafür liegt in der stark entgiftenden Wirkung dieser Asanas – und darin, dass frei werdende Toxine nach der Übung nicht in die höheren Kopfregionen geleitet werden sollten, sondern nach unten aus dem Körper.