Paschimottanasana – die Vorwärtsbeuge im Sitzen

(Autor: Fabian Scharsach)

Die Dehnung des Westens: Das Sinnbild der Übung

Als Ausdruck einer verinnerlichten Willenskraft verlangt Paschimottanasana dem Übenden ein hohes Maß an Disziplin und Durchhaltevermögen ab. Dabei stärkt sie das dritte Chakra, so dass sie wie ein Akkumulator von Lebensenergie wirkt. Gleichzeitig bringt sie den Praktizierenden durch ihre verinnerlichende Wirkung zur Ruhe. In diesem Gleichgewicht von sanfter Anstrengung und innerer Ruhe und Konzentration schenkt Paschimottanasana eine wirkungsvolle Tonisierung des Nervensystems, denn durch die stetige Längung des unteren Rückens bleibt sie in ihrer Ausführung immer aktiv. Der stille und kontinuierliche Einsatz, mit dem diese Asana an den Begrenzungen des Körpers arbeitet, schenkt dem Praktizierenden eine dauerhafte innere Antriebskraft, sowie eine resiliente Grundhaltung, die alle inneren Widerständen mit Ruhe und Geduld überwindet …

Zitate zu Paschimottanasana

„Paschimottanasana regt den gesamten Prana-Fluss in der Sushumna Nadi an, entfernt Bauchfett und fördert die Verdauung. Sie verleiht Gesundheit und Vitalität.“
(Quelle: Swatmarama, Hatha Yoga Pradipika, 15. Jhdt., 1:29)

„Paschimottanasana ist die beste Haltung, um den Fluss der Lebenskraft durch die Rückseite des Körpers (Paschima) zu lenken. Sie hilft, den Geist zu beruhigen und den Körper zu reinigen.“
(Quelle: Maharishi Gheranda, Gheranda Samhita, 17. Jhdt., 2:28)

„Paschimottanasana bringt das Herz in Kontakt mit den unteren Extremitäten, fördert das Vertrauen und die Demut. Die Haltung wirkt verjüngend auf das Nervensystem, beruhigt den Geist und stimuliert die Bauchorgane.“
(Quelle: B.K.S. Iyengar, Light on Yoga, 1966, S. 135)

„Diese Haltung aktiviert den Prana-Fluss entlang der Wirbelsäule, löst energetische Blockaden und fördert die Klarheit des Geistes. Sie ist besonders effektiv bei der Beruhigung von Vata-Störungen.“
(Quelle: Swami Satyananda Saraswati, Asana Pranayama Mudra Bandha, 1969, Kapitel über Asanas)

„Paschimottanasana lehrt Geduld und Selbstannahme. Sie ist eine Haltung der Hingabe, die den Geist auf das Wesentliche lenkt und die Atmung vertieft.“
(Quelle: T.K.V. Desikachar, The Heart of Yoga, 1995, S. 112)

Die Wirkungen der Übung

Paschimottanasana: Körperliche Wirkungen

Dehnung und Flexibilität:Paschimottanasana dehnt intensiv die gesamte Körperrückseite, einschließlich der Wirbelsäule, der Hüften, der Beinrückseiten sowie der Wadenmuskulatur. Die Haltung trägt zur Verbesserung der Flexibilität sowie Beweglichkeit dieser Bereiche bei.

Massage und Stimulierung der Bauchorgane:Durch die Kompression des Bauchs werden die inneren Organe, insbesondere der Darm und die Leber, sanft massiert. Dies fördert die Verdauung und regt den Stoffwechsel an.

Rückendehnung:Die Haltung hilft, Verspannungen in der Lendenwirbelsäule zu lösen. Abgesehen davon kann sie – richtig praktiziert – Verspannungen im Rücken lindern.

Beruhigung sowie Stabilisierung des Nervensystems:Das Halten der Vorwärtsbeuge beruhigt das sympathische Nervensystem, so dass es zur Entspannung des gesamten Körpers kommt.

Paschimottanasana: Energetische Wirkungen

Aktivierung der Sushumna Nadi:Paschimottanasana lenkt den Energiefluss entlang der Wirbelsäule (Sushumna Nadi), so dass die Energie harmonisiert und Blockaden in den Nadis (Energiekanälen) gelöst werden.

Balancierung der Chakras:Die Haltung aktiviert sowohl die nährenden und stabilisierenden Energien des zweiten Zentrums, als auch die aufsteigenden und expansiven Antriebsenergien des dritten Zentrums, so dass es zu einer ausgewogenen Wirkung und einer

Förderung der Vitalität:Die Vorwärtsbeuge stimuliert den Fluss der Pranas (Lebensenergie) entlang, dadurch schenkt sie Gleichgewicht aus Energetisierung und Regeneration.

Paschimottanasana: Geistige Wirkungen

Konzentrationsförderung:Paschimottanasana erfordert eine fokussierte Aufmerksamkeit auf die Atmung und die Körperausrichtung, so dass durch diese Konzentration der Geist beruhigt und Ablenkungen reduziert werden.

Stressabbau und mentale Klarheit:Durch die sanfte verinnerlichte Haltung wird das Nervensystem beruhigt, so dass Stress und Angst abgebaut werden. Die Konzentration auf den Atem hilft, den Geist zu klären sowie die Gedanken zu ordnen.

Demut und Hingabe:Die Haltung spiegelt Hingabe und Opferbereitschaft wider. Um sie in ihrer Tiefe zu erfahren, benötigt man Demut, Geduld sowie ein hohes Maß an Einsatzfreude.

Rückzug der Sinne:Diese Haltung erleichtert das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara), indem sie Körper und Geist in einen geschlossenen, verinnerlichten Zustand bringt.

(Unterstützende Quelle: T.K.V. Desikachar beschreibt inThe Heart of Yoga, dass Paschimottanasana „Geduld und Selbstannahme lehrt und den Geist auf das Wesentliche lenkt“, S. 112)

Schritt-für-Schritt-Anleitung für Paschimottanasana

1. Schritt: Vorbereitung

  • Setze dich auf deine Übungsmatte mit gestreckten Beinen nach vorne.
  • Halte deine Wirbelsäule aufrecht sowie deine Schultern entspannt.
  • Deine Füße sollten zusammen sein, zudem die Zehen leicht nach oben zeigen.

2. Schritt: Einatmen – Arme heben

  • Atme tief ein und strecke deine Arme über den Kopf nach oben.
  • Strecke die Wirbelsäule lang nach oben, als ob du wachsen möchtest.

3. Schritt: Ausatmen – Vorwärtsbeuge

  • Beuge dich mit geradem Rücken aus der Hüfte nach vorne.
  • Führe deine Hände langsam in Richtung deiner Füße, Knöchel oder Schienbeine – je nach Beweglichkeit. Du kannst dir die Längung des unteren Rückens erleichtern, indem du dich mit den Händen unterhalb der Schienbeine nach vorne ziehst.
  • Wichtige Hinweise: Der Schlüssel zum Gelingen dieser Position liegt in der dauerhaften Längung des unteren Rückens. Aus ihr entsteht die angestrebte Energiezirkulation entlang der Körperrückseite („Paschima uttana“: der „gedehnte Westen“ des Körpers): spürbar in der Dehnung an den Beinrückseiten sowie entlang der Wirbelsäule. Sehr bewegliche Menschen begehen in dieser Position einen häufigen Fehler, denn sie haben – auch ohne die mühevolle Längung des unteren Rückens – die Fähigkeit, ihren Oberkörper mühelos nach vorne und unten zu bringen und dabei vollkommen zu entspannen. Damit bringen sich Praktizierende um die eigentlichen Wirkungen dieser Übung. Die Längung des unteren Rückens – und mit ihr die aktive Dehnung der Körperrückseite – sollten während der gesamten Übung aufrecht bleiben.

4. Schritt: Tiefer in die Haltung kommen

  • Wenn du kannst, dann umfasse deine Fußsohlen oder Zehen mit den Händen.
  • Ziehe deinen Oberkörper sanft nach vorne.
  • Halte den Nacken entspannt, so dass der Kopf eine natürliche Verlängerung der Wirbelsäule ist.

5. Schritt: Halten&Atmen

  • Bleibe in der Position, solange du Konzentration und Energetisierung aufrecht erhalten kannst.
  • Der Atem fließt sanft und natürlich.

6. Schritt: Auflösen der Haltung

  • Tief einatmen, aktiviere deine Bauchmuskeln und richte dich langsam mit geradem Rücken wieder auf.
  • Senke die Arme zurück neben den Körper.
  • Verbringe einige Momente in einer öffnenden Gegenstellung wie dem Tisch, so dass Becken, Bauch- und Brustraum geweitet sind und lege dich dann in Shavasana.