Übungspraxis

Sarvangasana – der Schulterstand

(Autor: Fabian Scharsach)

Sarvangasana wird im Yoga oft als „Königin der Asanas“ bezeichnet. Diese Übung ist eine der klassischen Haltungen des Hatha Yoga und wird für ihre umfassenden Wirkungen auf den Körper, den Geist und die Lebensenergien des Menschen geschätzt. Sarvangasana unterstützt ein zur Ruhe kommen des Geistes und eine Energetisierung des Herzraumes, der das tragende Element dieser Asana bildet.

Die Wirkungen von Sarvangasana

Körperliche Ebene

  • Stärkung der Nacken- und Schultermuskulatur: Die Haltearbeit in dieser Umkehrhaltung kräftigt die Muskeln im oberen Rücken und Nacken.
  • Verbesserung der Durchblutung: Durch die Umkehr fließt das Blut vermehrt in die oberen Regionen des Körpers, insbesondere in den Kopf und das Herz, was die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung verbessert.
  • Förderung der Flexibilität: Die Haltung dehnt die Wirbelsäule und erhöht die Beweglichkeit in der Hals- und Brustwirbelsäule.
  • Stärkung des Immunsystems: Die sanfte Kompression der Schilddrüse und anderer Organe in der Halsregion kann die hormonelle Balance und das Immunsystem unterstützen.

Energetische Ebene

  • Aktivierung der höheren Zentren: Der Schulterstand unterstützt die Reinigung, Energetisierung, Harmonisierung der höheren Energiezentren: Anahata, Vishuddha, und Ajna Chakra
  • Förderung des Energieflusses: Wie der Kopfstand unterstützt auch Sarvangasana den Fluss von Prana (Lebensenergie) durch den Körper und wirkt dadurch vitalisierend und verjüngend.
  • Im Bereich des Herzraums, der das tragende Element dieser Übung bildet, kann bei fortgeschrittener Übungspraxis ein leichtes, aufstrebendes Gefühl wahrgenommen werden, das sich in Becken und Beine fortsetzt.
  • Die Konzentration während Sarvangasana ist auf die höheren Zentren – Anahata, Vishuddha und Ajna Chakra – gerichtet.

Geistige Ebene

  • Klarheit und Ruhe: Durch die Konzentration auf die höheren Zentren (und die in dieser Position auferlegte Bauchatmung) fördert Sarvangasana ein zur Ruhe kommen des Geistes.

.

Sarvangasana im tantrischen Verständnis

1. „Light on Yoga“ von B.K.S. Iyengar

„Sarvangasana wird als die Mutter aller Asanas bezeichnet. Sie revitalisiert den gesamten Körper und Geist. Die Haltung verbessert die Blutzirkulation und fördert die Funktion der Schilddrüse, indem sie Druck auf den Halsbereich ausübt. Diese Asana ist entscheidend für das hormonelle Gleichgewicht und die Reinigung des Nervensystems. Die regelmäßige Praxis hilft, Stress abzubauen und inneren Frieden zu erreichen.“

2. „The Hatha Yoga Pradipika“ (übersetzt und kommentiert von Swami Muktibodhananda)

Die klassische tantrische Perspektive beschreibt die Umkehrhaltungen wie Sarvangasana als Werkzeug, um das Prana (Lebensenergie) gezielt durch die Sushumna-Nadi zu leiten: „Durch die Praxis von Sarvangasana wird das Amrita (der Nektar der Vitalität), das aus Bindu tropft, konserviert. Diese Haltung nährt das Gehirn und aktiviert das Vishuddhi-Chakra, wodurch mentale Klarheit und spirituelle Reinheit gefördert werden.“

3. „Kundalini Tantra“ von Swami Satyananda Saraswati

„Sarvangasana bringt den Praktizierenden in einen Zustand, in dem das Vishuddhi-Chakra aktiviert wird. Dies führt zu einer verbesserten Kommunikation, Ausdrucksfähigkeit und einem Gefühl der inneren Harmonie. Energetisch wirkt die Haltung, indem sie die Flüsse von Ida und Pingala ausbalanciert und den Weg für die Erweckung der Kundalini vorbereitet.“

4. „A Systematic Course in the Ancient Tantric Techniques of Yoga and Kriya“ von Swami Satyananda Saraswati

  • „Sarvangasana ist eine der grundlegenden Umkehrhaltungen, die die Durchblutung des Kopfes fördern und den Druck auf die inneren Organe regulieren. Diese Haltung tonisiert die Schilddrüse und reguliert das endokrine System.“
  • „Die Praxis dieser Haltung stimuliert den Fluss der Prana-Energie und bereitet den Geist auf Meditation vor. Sie unterstützt den Praktizierenden, das Vishuddhi-Chakra zu öffnen, das die Brücke zwischen dem physischen und dem subtilen Körper bildet.“

5. „Shiva Samhita“ (eine klassische tantrische Schrift)

„Durch die regelmäßige Praxis von Umkehrhaltungen wie Sarvangasana wird die Energie der unteren Chakras nach oben gelenkt. Der Yogi kann dadurch spirituelle Klarheit und Gleichgewicht erreichen. Diese Asana ist für den Körper wie auch für den Geist eine Reinigung.“

6. „Gheranda Samhita“ (eine klassische Hatha-Yoga-Schrift)

„Die Haltung, bei der der Körper wie eine aufrechte Kerze steht, reinigt die Nadis (Energiekanäle) und aktiviert die subtile Energie. Durch diese Praxis wird die Verjüngung des Körpers und Geistes erreicht, und die Flüsse von Prana und Apana werden harmonisiert.“

7. „Sivananda Companion to Yoga“ von Swami Vishnudevananda

„Sarvangasana wird als die Königin der Asanas bezeichnet. Sie nährt den Körper, beruhigt das Nervensystem und bringt Frieden in den Geist. Auf der spirituellen Ebene hilft die Haltung, die Energie nach oben zu lenken und die höheren Chakras zu aktivieren, insbesondere Vishuddhi.“

Schritt-für-Schritt-Anleitung für Sarvangasana

1. Vorbereitung

Beginne mit einer sanfte Mobiliierung des Nackens, der Schultern und der Wirbelsäule. Die Schulterbrücke (Setu Bandhasana) kann dabei hilfreich sein.

2. Ausgangsposition

Lege dich auf den Rücken, die Beine ausgestreckt und die Arme seitlich am Körper.

3. Anheben der Beine

Hebe die Beine langsam an und bringe sie in einem kontrollierten Schwung nach oben, sodass das Gewicht auf deinen Schultern und Oberarmen ruht.

4. Unterstützung durch die Hände

Stütze deinen unteren Rücken mit den Händen, während die Ellbögen stabil auf dem Boden bleiben. Die Hüften sollten nach Möglichkeit über den Schultern stehen.

5. Ausrichten der Beine

Strecke die Beine gerade nach oben, sodass der Körper eine vertikale Linie bildet. Halte den Nacken entspannt, während die Schulterpartie aktiv bleibt.

6. Atmung und Halten

Der Schulterstand soll gleichmäßig auf drei Bereichen ruhen: Schultern, Nacken und Kopf. Beim freien Schulterstand (Niralamba Sarvangasana) gut darauf achten, dass die Position sich nicht einseitig auf den Nacken verlagert. Atme tief und gleichmäßig, während du die Position hältst. Beginne mit 15 bis 30 Sekunden und steigere die Dauer schrittweise.

Sicherheitshinweise

  • Nicht geeignet bei: Nackenverletzungen, Bluthochdruck, Augenproblemen (z. B. erhöhter Augendruck) oder Schilddrüsenerkrankungen.
  • Anfänger: Übe den Schulterstand zunächst mit Unterstützung, z. B. einer gefalteten Decke unter den Schultern, um den Nacken zu entlasten.
  • Achtsamkeit: Achte darauf, den Nacken nicht zu überstrecken und das Gewicht gleichmäßig auf die drei Bereiche (Nacken, Schultern, Hinterkopf) zu verteilen.