Ushtrasana – das Kamel
(Autor: Fabian Scharsach)
Sinnbild und Psychologie der Übung
„Der Atem benötigt den von Gedanken, Emotionen und anderen Körpergefühlen freien Rhythmus. Erst wenn diese sensible Trennung der Gefühle vom Atem eingetreten ist, kann die Bewegung ihre so schöne Musik, die sie auf der himmlischen Leier spielt und singt, entfalten. Der Körper wartet sehnsüchtig auf die loslösende Musik der Sphäre, damit er sich in der Bewegung frei den widerständigen, bindenden Mächten der Dunkelheit in seiner reinen Willensnatur begegnen kann.“
(Heinz Grill, „Die Vergeistigung des Leibes“)
„Durch das Loslassen der natürlichen Unruhe und die Versenkung ins Grenzenlose wird die Haltung zur stillen Vollendung.“
(Patanjali Yoga Sutra II.47 aus der englischen Übersetzungn nach Swami Satyananda)
Wenn tiefer rückbeugende Übungen einen Zustand von Weite und Entgrenzung vermitteln, sind sie dabei dennoch von körperlich er Anstrengung begleitet. Diese Anstrengung hat die Neigung, den Atem – und mit ihm das Bewusstsein – an die nervlichen Regungen des Körpers zu binden. Wenn der Atem jenseits dieser Bindungen, in einem Zustand innerer Gelöstheit fließen kann, wird ein tieferes Empfinden der Asana möglich. Jene freudvolle Weite und Selbstvergessenheit, die in anderen rückbeugenden Asanas nur mit Meisterschaft erfahren werden kann, vollzieht sich in Ushtrasana in ganz natürlicher Weise. Das Herz den höheren Hemisphären geöffnet, lässt sich dieser Zustand – bei hoher Kraft und Beweglichkeit – in der weiter ausgeführten (Purna) Vajrasana erhalten.
Die Wirkungen der Übung
Körperliche Wirkungen
- Dehnung & Kräftigung: Ushtrasana dehnt Vorderseiten wie Brust, Bauch, Hüftbeuger und Oberschenkel, während Rücken-, Gesäß- und Nackenmuskulatur gestärkt werden.
- Wirbelsäulengesundheit: In Ushtrasana wird die gesamte Wirbelsäule gestreckt und gekräftigt.
Energetische Wirkungen
- Herzöffnung: Ushtrasana öffnet das Anāhata-Chakra und fördert die Energiezirkulation bis in den Nabelbereich. Die weite Öffnung in diesen Bereichen unterstützt die Auflösung emotionaler Blockaden.
- Für Menscen mit ausgeprägter „Vata“ Konstitution* ist diese Übung nur eingeschränkt empfehlenswert, weil sie das Element der Luft im Körper fördert.
* Vata ist eine der drei Doshas, der bioenergetischen Konstitutionen im Ayurveda. Menschen mit ausgeprägten Vata sind empfänglich, wahrnehmungsoffen und geistig aktiv. Dabei können sie allerdings zu Unruhe und psychischer Labilität neigen.
Geistige Wirkungen
- Selbstvergessenheit im Geist und Empfänglichkeit der Gefühlswelt sind die inneren Qualitäten dieser Übung.
Schritt-für-Schritt-Anleitung für Ushtrasana
Ausgangsposition
- Kniend mit schulterbreitem Abstand, Die Zehen sind entweder aufgestellt oder die Fußrücken liegen am Boden auf. Die Hüften sind über den Knien.
Aufrichten und Stabilisieren
- Die Hände liegen an den Hüften, die Oberschenkel sind aktiv.
- das Becken leicht nach vorne kippen, dann den Brustkorb sanft anheben.
Rückbeuge einleiten
- Einatmen: den Brustkorb nach oben und vorne ausrichten.
- Ausatmen: die Hände nacheinander zu den Fersen führen. Die Hüften stabil über den Knien belassen.
Haltung vertiefen
- die Hüften nach vorne drücken, das Gesäß anspannen und die Wirbelsäule Wirbel für Wirbel öffnen. Den Kopf sanft nach hinten führen, den Nacken lang halten.
Atmung und Ausrichtung
- Die Position kann ca 30 bis 60 Sekunden gehalten werden. Die Atmung fließt sanftund gleichmäßig. Der Bauch bleibt entspannt, die Schultern weit, der Blick wird nach hinten ausgerichtet.
Ausstieg
- Die Hände zurück an Hüften bringen, den Oberkörper in aufrechte Position führen, zuerst die Brust, dann den Kopf heben.
- In Balasana (Stellung des Kindes) entspannen.